Der Fall
Im vorliegenden Fall verstarb ein Erblasser und hinterließ neben seinem Sohn ein notarielles Testament. In diesem Testament setzte der Erblasser den späteren Beklagten als Alleinerben ein. Seinen Sohn schloss der Erblasser ausdrücklich aus der Erbfolge aus. Neben der Enterbung testierte der Erblasser, dass seinem Sohn auch der gesetzliche Pflichtteil entzogen werden soll. Die Pflichtteilsentziehung gegenüber seinem Sohn begründete der Erblasser mit zahlreich begangenen Straftaten, welche auch mit verhängten Haftstrafen sanktioniert wurden.
Sohn des Erblassers verlangt seinen Pflichtteil
Nach dem Tod des Erblassers trat der Sohn an den Alleinerben heran und verklagte diesen auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses und gab dabei an, dass ihm ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 100.000 € zustehen würde. Aus seiner Sicht war der Entzug des Pflichtteils unwirksam, da ihm sein Vater noch zu Lebzeiten bereits seine Taten verziehen hatte.
War die Verzeihung unwirksam?
Der beklagte Alleinerbe wehrte sich gegen die Forderungen des Sohnes und bestritt die Verzeihung der Taten seitens des Erblassers. Dieser hatte das notarielle Testament mit dem wirksam verfügten Pflichtteilsentzug nur zwei Monate vor dessen Ableben testiert. In dieser kurzen Zeit zwischen Testamentserrichtung und Erbfall könne keine wirksame Verzeihung stattgefunden haben. Das Landgericht wollte dieser Argumentation jedoch nicht folgen und entschied zugunsten des klagenden Sohnes, indem das Gericht den Alleinerben zur Zahlung des Pflichtteils verurteilte. Gegen diese Entscheidung legte der Alleinerbe Berufung zum Oberlandesgericht ein.
Oberlandesgericht verkündet Hinweisbeschluss
Das Oberlandesgericht erkannte die Entscheidung des Landgerichts an und hielt in einem Hinweis fest, dass bereits Zweifel hinsichtlich eines wirksamen Pflichtteilsentzug bestehen würden. Unabhängig davon sei die Verzeihung im Sinne des § 2337 BGB zu tragen gekommen, weshalb keine Pflichtteilsentziehung vorliegt. Dabei sei darauf abzustellen, dass eine Verzeihung keinen ausdrücklich erklärenden Akt erfordert, sondern vielmehr in dem Gesamtausdruck des Erblassers zu finden sei. Nach dem Oberlandesgericht käme es im Kern darauf an, dass die seelische Kränkung des Erblassers, welche durch den jeweiligen Pflichtteilsentziehungsgrund hervorgerufen wurde, nicht mehr besteht. Dieser Voraussetzung könne nicht allein zum Nachteil des Pflichtteilsberechtigten aus einer zeitlichen Nähe zwischen den erfolgten Handlungen des Erblassers interpretiert werden.
Alleinerbe nimmt Berufung zurück – Rechtskraft der Entscheidung des Landgerichts tritt ein
Der Sohn konnte im Verfahren reichhaltige Sachverhaltshinweise beitragen, um die Verzeihung seiner Taten seitens seines Vaters zu bestätigen. Das Oberlandesgericht kam in der Gesamtbetrachtung aller Umstände zu dem Ergebnis, dass der Entzug des Pflichtteils durch die Verzeihung des Erblassers nach § 2337 BGB wirksam aufgehoben wurde. Auf dieser Grundlage nahm der Alleinerbe seine Berufung zurück. Der pflichtteilsberechtigte Sohn konnte anschließend seinen Pflichtteilsanspruch gegen den Alleinerben durchsetzen.