Der Fall
Im vorliegenden Fall errichtete ein Erblasser 2012 zwei handschriftliche Testamente, welche inhaltlich im Wesentlichen gleich waren. Dabei setzte der spätere Erblasser in beiden Testamenten seine Tochter und seinen Sohn als Erben ein. Die beiden Testamente unterschied jedoch eine Vermächtnisanordnung zu Gunsten der Tochter. Eines der beiden Testamente enthielt das Vermächtnis das andere hingegen nicht. Neben diesem Vermächtnis beinhalteten beide Testamente noch eine deckungsgleiche Vermächtnisverfügung zugunsten der überlebenden Ehefrau. Beide Testamente unterschrieb und datierte der Erblasser am selben Tag. Der Erblasser verstarb 2018.
Tochter beantragt Erbschein
Nach dem Tod des Erblassers breitete sich Ungewissheit aus, welches der beiden Testamente nun wirksam sei. Die Tochter wand sich mit dem Testament, welches das zu ihren Gunsten enthaltene Vermächtnis inne hatte an das Nachlassgericht und beantragte die Erteilung eines Erbscheins. Der Erbschein sollte sie als alleinige Erbin ausweisen.
Welches Testament gilt?
Gleichzeitig trat der Sohn des Erblassers an das Nachlassgericht heran und begehrte auf Grundlage des anderen Testamentes die Erteilung eines Erbscheins. Dieser sollte ihn und seine Schwester je hälftig als Erben ausweisen. Das Nachlassgericht stellte jedoch die Erteilung des Erbscheins zugunsten der Tochter in Aussicht. Grund dafür war, dass die Tochter in ihren Antrag daraufhin wies, dass ihr Testament von dem Erblasser in einem besonderen Ordner verwahrt worden sei. Gegen diese Entscheidung des Nachlassgerichts legte der Sohn Beschwerde zum Oberlandesgericht ein.
Testamente gelten fiktiv als gleichzeitig testiert
Das Oberlandesgericht folgte den Ausführungen des Nachlassgerichts nicht und hob die Entscheidung auf. Aus Sicht des Oberlandesgerichtes könne keine eindeutige rechtssichere Entscheidung darüber gefällt werden, welches Testament zeitlich als letztes errichtet wurde und somit wirksam wäre. Es biete sich daher nur der Schluss von einer gleichzeitigen Errichtung der Testamente auszugehen. Bei gleichzeitig errichteten Testamenten gilt der deckungsgleiche Inhalt als wirksam. Die Verfügungen, in denen sich die beiden Testamente inhaltlich unterscheiden, entfalten hingegen keine Rechtswirkung.
Vermächtnis zugunsten der Tochter ist unwirksam
Im vorliegenden Fall traf dies auf das zugunsten der Tochter testierte Vermächtnis zu. Das Vermächtnis war damit unwirksam und die Tochter konnte sich nicht darauf berufen. Weiter wies das Oberlandesgericht darauf hin, dass bei der Beurteilung vorliegend der Fundort des Testamentes (in einem “besonderen Ordner”) nicht zu berücksichtigen sei. Im Ergebnis standen beide Testamente gleichberechtigt nebeneinander und der sich widersprechende Teil konnte keine Wirksamkeit entfalten. Der beantragte Erbschein des Sohnes wurde erteilt.